Aktuell

Sammlungen

Plastische Anwendung. Kommentar zum Beitrag von Karl-Josef Pazzini

19. April 2024
In seinem Text „Kunst existiert nicht, es sei denn als angewandte“ legt Pazzini dar, dass Kunst als solche – d. h. als unverbrauchbar reines, ideales, absolutes Original, als Ding an sich – nicht existiert, sondern sich in je spezifischen und damit unterschiedlichen Anwendungen bzw. als je unterschiedliche Wendung realisiere, etwa in der differenziellen Form der Kunstpädagogik (vgl. Pazzini 2000: 1-2), welche anderen Anwendungen von Kunst, etwa denen des Kunstmarktes in nichts nachstünde. Pazzini entlehnt dabei den Begriff der Anwendung der Philosophie Jacques Derridas und folgt insofern dem Programm der Dekonstruktion, welches selbst von der ethischen Verantwortung für den Anderen, d. h. auch von einem Moment jenseits jeglicher Programme geleitet ist (vgl. ebd.: 9 und 14).

Bildung vor Bildern. Pornographie als Bilddidaktik?

19. April 2024
Vermutlich bin nicht nur ich zur Kunst gekommen durch ein starkes sexuelles Interesse, das keine Objekte, keine Artikulationsmöglichkeiten im Alltag fand. Das gebilligte Angebot für Heranwachsende noch in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts machte nur deutlich, dass es das nicht sein kann. Auf eine andere Weise ist das heute so geblieben. Vielleicht besteht heute allerdings die Verwechslungsgefahr, das bekannte Angebot als Dokumentation dessen, was ist, anzusehen. Das direkt, explizite, sexuelle Motiv war nicht das einzige: Es gab eine ganze Bandbreite sinnlicher Erregung, Anregung, Aufregung, die nach Artikulationen suchte aus der Einsamkeit des Einbildens heraus, aus der Erregung durch Verführung oder, eher von „innen“ gedacht, durch das, was man den Trieb nennt. Das reicht von der sexuellen Neugier im engeren Sinne bis zur Lust am Verstreichen von Farben, der Lust an seltsamen Wirkungen bedeutungsfreier, abstrakter Formen, Farben und Gebilde.

Phantastische Löwen-Väter Gefahr im falschen Käfig. Kommentar zum Beitrag von Gereon Wulftange

19. April 2024
Am Ende seines Beitrags geht Gereon Wulftange auf die Feststellung ein, dass der Käfig in der besprochenen Zeichnung gar keiner sei, da er sich nur aus zwei Gitterwänden zusammensetze, somit nach zwei Seiten offenstehe. Er folgert, dass der „Käfig“ in der Zeichnung keinen tatsächlichen Schutz vor dem Vater-Löwen darstelle. Trotzdem scheinen die Gitterstäbe zu wirken, weil sie Ängsten und Begehren ein Bild geben. Genau darin aber unterliegt dieses Bild – wie alle Bilder – der Subjektivität seiner Betrachter*innen.

„Denn er wollte mich vielleicht fressen.“ Andeutungen zu Aggressivität, Phantasma und Begehren zwischen den Generationen

19. April 2024
Wie könnte es anders sein? Ausgangspunkt meines Beitrags ist ein Bild. Es handelt sich um eine Illustration von Horst Eckert, der den meisten unter seinem Künstlernamen Janosch bekannt sein dürfte. Abgedruckt war dieses Bild 2011 in einer Ausgabe des Zeit-Magazins, in dem es um das Thema Väter ging (Zeit-Magazin 2011: 5). Karl-Josef Pazzini hatte mich einmal darauf hingewiesen. Schmunzelnd, ansonsten aber ohne weiteren Kommentar. Ich musste auch grinsen. Beim näheren Hinsehen hatte ich den Eindruck, dass diese Kombination aus Zeichnung und Text, in der das Verhältnis zwischen den Generationen bespielt wird, einen Kommentar, eine genauere Interpretation lohnt. Ich habe den Verdacht, dass dieses Bild eine Art Wissen von der Struktur des Generationenverhältnisses enthält, ein Wissen, dem ich auf die Spur kommen will, indem ich einige bemerkenswerte Aspekte dieses Bildes mit Hilfe von Überlegungen aus der Lacan’schen Psychoanalyse herauszustellen versuche.

An der Festung rütteln: Aufforderung zur Erschütterung. Kommentar zum Beitrag von Eva Sturm

19. April 2024
Ein Begriff, den Eva Sturm auf der Hamburger Tagung zitierte, hat sich zentral in meiner Erinnerung verankert: die „paranoide Festungsmentalität“, die es nach Karl-Josef Pazzini zu lockern gilt. Beim Nachdenken über die Debatten im Warburg-Haus habe ich mein Skizzenbuch durchgeblättert und auch dort taucht er auf. Warum bleibt er zurück? Weil er zur Selbstbefragung auffordert? Selbstbefragungen – genau das lese ich in Eva Sturms Text, in dem sie sich mit den Potenzialen von kunstpädagogischer „Bildungsarbeit“ auseinandersetzt. Pazzini schreibt, Sturm zitiert: „Die paranoide Festungsmentalität verhandelt nicht, sie muss die Position der Überlegenheit vor der Verhandlung suchen.“ Das fordert jede statische Positionierung heraus. Eva Sturm nimmt diese Selbstbefragung auf. Sie geht den eigenen Optionen der Differenzbildung nach – und das ohne den Gestus des Immer-schon-gewusst-Habens.

Relationale Bildungen. Kommentar zum Beitrag von Ute Vorkoeper und Tanja Wetzel

19. April 2024
Eindringlich (nichts) sehen spricht über durch Kunst sichtbar Gemachtes und seine Effekte. Ich möchte dies in meinem Kommentar um Überlegungen zu Affektivität und Relationalität ergänzen. Die zerstreute, flimmernde Wahrheit der sozialen Medien in Abstrakter Film von Birgit Hein ist eine, in der die Realitäten derer, die mit handheld cameras filmen und also laufend(e) Bilder generieren, sich ähneln. Sich für das europäische Auge ähneln, müssten wir sagen. Das europäische Auge, das Sand, Männer, rennende Hosenbeine, Fuchteln sieht; das europäische Ohr, das Schreie und Warnungen hört, die es nicht genauer dekodieren kann. Das die Gefährdung dieser Situationen nicht genauer kennt.

Eindringlich (nichts) sehen. Über das Öffnen „paradoxaler Aufenthaltsräume“

19. April 2024
Kunst kann einen paradoxalen Aufenthaltsraum bieten, der nicht messerscharf entscheidet zwischen dem Vorstellbaren, dem Berührbaren, den Inhalten und Formen, dem Richtigen und dem Falschen, dem Moralischen und dem Unmoralischen. (Pazzini 2015: 299) Aktuell kollidiert weltweit ein wahnsinniger und gewalttätiger Ikonoklasmus mit ebenso wahnhafter und totaler Idolatrie. Während die zeitgenössischen Ikonoklasten gewaltsam alle Bilder der anderen zu vernichten suchen, um die Welt buchstäblich eindeutig zu machen, kleiden sich die Bildgläubigen in konfektionierte und sinnentleerte Bilder. Gemeinsam aber glauben alle bzw. nutzen sie gezielt den Glauben an die „dokumentarische“, die beweisende, „wahre“ Dimension der Momentbilder.

Sichtbarmachung – Magie – Wunscherfüllung. Zwei Denkfiguren und ein Fernsehprogramm

19. April 2024
In seinem Aufsatz über Die Universität als Schutz für den Wahn vergleicht Pazzini an einer Stelle das „Sichtbarmachen etwa durch bildgebende Verfahren“ mit „anderen magischen Praktiken“ (Pazzini 2005a: 138). Diese Bemerkung greife ich im Folgenden in Bezug auf die Frage nach dem Zusammenhang von Sichtbarmachung, Magie und Wunscherfüllung auf, um sie dann mit einer weiteren Denkfigur zu konstellieren und schließlich auf ein aktuelles TV-Forschungsprojekt zu applizieren. Fragt man die Psychoanalyse nach der Magie, so sind es nach Freud die Wünsche, die zu ihrer Ausübung drängen (Freud 1912-13a: 103). Ein Wunsch wiederum kann danach streben, das Erinnerungsbild einer gewissen Wahrnehmung, welche im Zuge eines Befriedigungserlebnisses erschienen ist, wieder zu besetzen (vgl. Freud 1900a: 571).

Sammlungen

6. Mai 2023
Der Band Curatorial Learning Spaces nimmt aktuelle, digital und global gewordene gesellschaftliche Bedingungen zum Anlass, um das Verhältnis von Kunst, Pädagogik und kuratorischer Praxis zu befragen. Er bringt eine Reihe von Stimmen zusammen, die sich aus ihrem je eigenen praktischen und theoretischen Kontext mit Strategien des Zeigens und Vermittelns befassen und mit der Frage nach der Wirkung und Funktion von kuratorischen Räumen auseinandersetzen. Die drei titelgebenden Begriffe – Bildung, Raum und das Kuratorische – liefern die inhaltlichen Ankerpunkte für eine Reflexion produktiver Verschränkungen von kuratorischer und kunstpädagogischer Praxis und Theoriebildung. Vor dem Hintergrund sich verändernder Bedingungen und Anforderungen an institutionelle Bildungsräume durch veränderte Medienkulturen und die Anerkennung von gesellschaftlicher Heterogenität fragt dieses Buch danach, wie Strategien des Kuratierens und Vermittelns ineinandergreifen und wie sie für die Umgestaltung von Bildungsräumen produktiv gemacht werden können. Welche Wirkungen haben pädagogische Formate im Kunstfeld und umgekehrt kuratorische Formate im pädagogischen Feld? Welches Potenzial haben Ausstellungen als Erfahrungsräume, gerade wenn sie auf Prozesshaftigkeit und Teilhabe ausgerichtet sind? Kann künstlerische und kuratorische Praxis institutionell normierte Räume aufbrechen und somit konventionelle Vermittlungssituationen ästhetisch und pädagogisch erweitern?
8. Oktober 2021
Aktuelle Medienkulturen in digitalen Kontexten zeichnen sich nicht nur durch ihre spezifische Form des Zusammenspiels von datenbasierten und vernetzten Infrastrukturen, algorithmischen Prozessen sowie durch das Ineinandergreifen von Hardware, Software und Interfaces aus. Sie prägen unsere Gegenwart vielmehr auch in phänomenologischer Hinsicht auf mannigfaltige Weise. Wie sich die jeweiligen Verbindungen dieser Phänomene mit ihren verschiedenen gesellschaftlichen Feldern und Praktiken genau darstellen, wie mögliche Wandlungsprozesse zu begreifen sind und wie sich im Zuge dessen Sozialität verändert, bedarf einer sorgfältigen Analyse, insbesondere hinsichtlich der Zusammenhänge von Technologie, kultureller Bedeutungsproduktion und Gesellschaft. Dabei stellt sich die Frage, ob es übergreifende Merkmale und Konzepte gibt, die die aktuellen Entwicklungen digitaler Medienkulturen angemessen beschreiben können, ohne dabei den Blick für das Besondere und die Heterogenität der äußerst dynamischen und vielschichtigen Entwicklung in diesem Bereich außer Acht zu lassen.
1. September 2020
Von welchen Bildern wir umgeben sind, prägt unsere ästhetische Wahrnehmung. Fragen visueller Repräsentation und die kritische Auseinandersetzung mit visueller Kultur sind in der pädagogischen Arbeit aus unterschiedlichen Gründen von hoher Relevanz: Welche Bilder eingesetzt werden, um bestimmte Inhalte zu vermitteln, hat Einfluss darauf, welche Assoziationen geweckt, welche Vorstellungen mit diesen Inhalten verbunden werden oder was als ‚typisch‘ für ein bestimmtes Thema wahrgenommen wird. Als Herausgeberinnen des Sammelbandes gehen wir von der These aus, dass visuelles pädagogisches Material nicht ausschließlich eine illustrative Funktion hat, sondern Vorstellungen formt, indem es Gegenstände in bestimmter Weise repräsentiert. Dabei werden hegemoniale Normen der Darstellung reproduziert oder auch befragt und durchkreuzt. Aus dieser Perspektive stellt sich die Frage, wie eine kritische Auseinandersetzung mit Repräsentationsformen angeregt und didaktisch gestaltet werden kann – nicht nur, aber insbesondere auch im kunst- und medienpädagogischen Bereich. Die vorliegende Textsammlung nimmt Fragen um visuelle Kultur in der pädagogischen Arbeit mit Blick auf das Themenfeld Sexualität, Begehren und Rassismuskritik auf.